Von wegen "neu" macht glücklich

Ich wusste es würde genauso kommen. Ich zahle viel Geld und ärgere mich. Fünfmal habe ich heute schon den Gefrierschrank geöffnet. Nicht, weil ich etwas einfrieren oder auftauen wollte, sondern nur, weil der jetzt genau da steht, wo letzte Woche noch die Spülmaschine war. An sich bedeutet Kochen gerade mehr Suchen als alles andere. Zwei Wochenenden haben wir nichts anderes gemacht als räumen – einmal alles raus und jetzt wieder alles rein. Und das soll glücklich machen?

Als mit der neuen Küche drei Plastikboxen mit Putzmittel einzogen, ahnte ich Böses. Ein Putzmittel speziell für die neuen Schrankoberflächen, ein Putzmittel für die hochwertige Arbeitsfläche und eins für Griffe und Dunstabzugshaube. Damit die neue Küche lange schön bleibt. Wer bitte denkt sich so was aus? Definitv kein Mensch, der täglich eine Küche nutzen möchte. Bockig stehe ich in der Küche und motze vor mich hin. Ich will meine alte Küche zurück!. In der war alles besser! Vergessen ist, dass wir uns immer im Weg standen, sich die Arbeitsfläche schon wellte und die Schubladen auseinanderfielen. Das will ich nicht sehen. Ich sehe nur, dass gerade das Neue doof ist. 

Dann fällt mir ein, was wir in der Coaching-Ausbildung über Veränderungsprozesse gelernt haben und ich muss über mich selber lachen. Ich stecke gerade mitten im Raum der Ablehnung und bin kurz davor in den Kerker der Verweigerung hinabzusteigen.

Sich von Gewohnten trennen ist immer schwierig, weil wir es uns im Raum der Behaglichkeit gemütlich eingerichtet haben. Wir wissen wie es geht, wo alles ist und meckern lieber ein bisschen vor uns hin als die Dinge zu ändern. Bis der Backofen seinen Geist aufgibt und damit die ganze, wirkliche in die Jahre gekommene Küche, in Frage gestellt wird.

Bei Ihnen ist es wahrscheinlich nicht die Küche. Vielleicht ist es eine neue Software oder neue Prozesse. Die Digitalisierung oder das Thema Industrie 4.0. Eine neue Ausbildungsverordnung oder die Folgenen des demografischen Wandels. Viele Veränderungsprozesse kommen nicht von innen, sondern werden von außen angestoßen. Der neue Chef führt eine neue Software ein, denn die Wartung der bisherigen Software wird eingestellt. Oder die rückgehenden Bewerbungszahlen zwingen uns zu handeln.

 

Selbst wenn die Notwendigkeit offensichtlich ist, heißt es nicht, dass wir uns mit Veränderungen leichttun oder diese dankbar annehmen. Im Gegenteil. Fast immer durchlaufen wir gewissen Phasen. Der schwedische Psychologe Classen beschreibt diese in seinem Modell des 4 Room Apartment mit Behaglichkeit, Ablehnung, Verwirrung und Erneuerung. Und manch einen Mitarbeiter verlieren wir im Kerker der Ablehnung oder im Kerker der Hoffnungslosigkeit. wenn wir es nicht schaffen, den Sinn und den positiven Nutzen der Veränderung darzustellen und zu kommunizieren.

Viele Veränderungsprozesse scheitern. Weil wir es nicht schaffen, alle Mitarbeiter mitzunehmen, den positiven Nutzen der Veränderung klar zu kommunizieren und Ängste vor dem Neuen zu nehmen. Sicher durchlaufen auch unsere Kunden diese Phasen, wenn sie zum Beispiel von Präsens auf Online-Tests umstellen oder ihre Versetzungsplanung mit dem Azubi-Navigator digitalisieren. Erst mal ist alles schwieriger. Man weiß nicht, wo man hinklicken muss, oder hinter welcher Funktion sich noch mal was verbarg. Mich immer wieder daran zu erinnern und aufmerksam zu schauen, was wir tun können, um die Phasen von Ablehnung und Verwirrung hin zur Erneuerung positiv zu begleiten, dabei helfen mir Dinge wie meine Küche. Denn eins weiß ich auch: spätestens in zwei Monaten werde ich über meine Bockigkeit von Heute lachen und mir gar nicht mehr vorstellen können, warum ich jahrelang an der alten Küche festgehalten habe.

Aber ehrlich – noch ist will ich ein bisschen bockig sein und mich weigern in ihr zu kochen. Weil dann macht das nämlich heute mein Mann und schließlich soll doch alles für etwas gut sein. Auch neue Küchen.

 

Ihre

Felicia Ullrich