Video-Interview - innovatives Recruiting Instrument oder Bewerberschreck?

Ich gebe es ehrlich zu. Für mich wäre das nichts. Aber ich muss mich ja Gott sei Dank auch nicht mehr bewerben.

Dabei gehöre ich durchaus zu den Menschen, die mit ihrer Technik reden. Mein Auto nenne ich liebevoll „Dicker“ und begrüße es morgens fröhlich. Abends lasse ich mir von meinem Lautsprecher gerne mal einen schlechten Witz erzählen. Und in den kleinen Roboter auf dem Foto habe ich mich spontan verliebt.

Aber bei all dem geht es für mich um nichts. Es ist einfach eine neue Art der Kommunikation. Mein Auto fährt trotzdem, auch wenn ich es im Eifer des Gefechts beschimpfte. Alexa reagiert auf wenig nette Aussagen mit einem „das ist aber nicht nett von Dir“ aber ich darf trotzdem weiter bei Amazon bestellen. In einem Bewerbungsgespräch geht es richtig um was. Da möchte ich gefallen. Ich möchte auf die Fragen und Vorstellungen des anderen reagieren können. Ich will einschätzen können, wie der andere auf mich reagiert. Bei einem Video-Interview hätte ich das Gefühl, ich könnte mich um Kopf und Kragen reden, ohne es zu merken.

Offensichtlich gilt hier auch, wie die Mutter so der Sohn. Als dieser in der Bewerbungsphase steckte, habe ich ihn gebeten die Sache mit den Video-Interviews doch einmal auszuprobieren, um der Neugierde der Mama willen. Die Antwort war eindeutig „Mama, wenn es Dir hilft, mache ich noch drei Tests für dich, aber das mache ich auf keinen Fall!“.

Dabei sollen Video Interviews doch besonders zielgruppengerecht sein. Schließlich ist Youtube das zweite Zuhause der jungen Generation. Das gilt auch für meinen Sohn. Er schaut sehr gerne Videos, aber er stellt eben keine Videos von sich ins Netz. Wie bei vielen Social Media Angeboten gilt auch für Youtube – die Anzahl derer, die Videos schauen ist sehr viel größer als die, die sie machen. Konsumieren ist halt immer einfacher.

Ich glaube auch in dieser Frage gilt: Es gibt nicht die eine Zielgruppe. Und es gibt auch nicht den einen Weg, um die passenden Bewerber für sich zu gewinnen. Für Berufe, in denen eher extrovertierte Jugendliche zu Hause sind, mögen Videointerviews eine spannende Alternative zu sein. Für viele andere Berufe dann doch eher die Abschreckung.

Mein Sohn scheint mit seiner Meinung übrigens nicht alleine da zu stehen. Laut der Umfrage „Abenteuer Erstbewerbung“ der Agentur Jugenstil möchten sich nur 1 Prozent der Ausbildungsplatzbewerber über diesen Kanal bewerben. Die meisten bevorzugen die Mail oder die Online-Bewerbung. Wir gehen dieser Frage in der aktuellen Studie auf den Grund und sind dann im Mai 2019 noch schlauer.

Übrigens sehen auch die Datenschützer die Sache mit den Videos durchaus kritisch.

Laut der Datenschützer in Berlin und Nordrhein-Westfalen sind Videointerviews keine für die Begründung eines Arbeitsverhältnisses erforderliche Datenerfassung im Sinne des § 26 Abs. 1 BSDG. Sowohl die Aufzeichnung von Videointerviews als auch die Nutzung von Skype sind laut Datenschützer unzulässig.

Grundlage für die Entscheidung in NRW war der Fall einer Kommune, die ein solches Verfahren einführen wollte. Dabei sollte die Aufzeichnung anhand von vorgegebenen Fragen erfolgen. Laut der Datenschützer greifen derartige Videointerviews mit zeitversetzter Auswertung erheblich stärker in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bewerberinnen und Bewerber als herkömmliche Auswahlgespräche. Daher lehnte die Aufsichtsbehörde in NRW das Verfahren ab. Zwar stoßen die Datenschutzbeauftragten nicht überall auf Verständnis, aber das Risiko einer Abmahnung nach DSGVO bleibt bestehen.

Mehr Informationen zur Begründung der Datenschützer unter https://www.ldi.nrw.de/mainmenu_Service/submenu_Berichte/Inhalt/23_DIB/DIB-2017.pdf