Die Sache mit den Talenten

Den Surfschein habe ich bekommen, weil der Surflehrer mich ziemlich putzig fand und nicht, weil ich auf dem Brett fahren konnte. Beim Bronze Kurs in der Tanzschule, waren mein Partner und ich das schlechteste Paar, auch wenn wir bestanden haben. Heute ist das Zusammenspiel flüssiger – wir sind verheiratet.

Ich war eine durchschnittliche Schülerin mit keiner auffälligen Begabung in Mathe, Sprachen oder Geisteswissenschaften. In Deutsch war ich mehr eine Anti-Begabung, denn ich bin und war zu kreativ für die deutsche Rechtschreibung oder auch Legastheniker genannt. Gut, ich besaß dadurch ein gewisses Talent mich durch zu schummeln, anders ist die zwei in Deutsch im Abitur nicht zu erklären. Aber durchschummeln ist nun wirklich nicht das, was gemeinhin als Talent bezeichnet wird. Auch optisch fand ich, dass der liebe Gott bei mir die falschen Schwerpunkte gelegt hat, mit einer ausgeprägten Tendenz zu den unteren Extremitäten. Hinzu kommt, dass ich weder sonderlich gut basteln, noch malen geschweige denn singen kann. Meine Stimme ist zu laut und meine Hände zu ungeschickt.

Also alles so ein bisschen, aber nichts überzeugend gut. Bis zu einem Tag im Juni 1990. Eine Studenteninitiative und das Who ist Who der deutschen Werbeagenturen hatte zu einem Workshop Tag geladen. Uns, die Studenten der TU Berlin und die Kommilitonen der Hochschule der Künste (HDK). Ach ja, es versteht sich von selbst, dass ich mit BWL ein Durchschnittsfach an einer Uni mit unterdurchschnittlichem Ruf studiert habe.

Durch Los wurden einer Agentur zugeteilt. Ich landete bei Grey – einer international sehr erfolgreichen Werbeagentur. In kleinen Gruppen sollten wir ein Konzept für einen Kunden erarbeiten, der erfolgreich Weine im Supermarkt verkaufte. Vom Produkt, über die Verpackung bis hin zur Vermarktung.

Das Produkt war schnell gefunden – ein alkoholfreier Sekt (heute selbstverständlich – damals nicht und wenn schmeckten die gruselig). Auch Konzept, Slogan und Vermarktungsstrategie stellten keine so große Herausforderung für uns dar. Schnell noch ein hübsches Etikett gezeichnet (natürlich nicht von mir) und fertig war unser Konzept.

Im nächsten Schritt musste jede Gruppe vor einem Geschäftsführer von Grey ihre Idee präsentieren – die Dumme dafür war in meiner Gruppe schnell gefunden, nämlich ich. Die Gruppe mit dem besten Konzept, durfte dann ihre Idee vor allen 200 Teilnehmer präsentieren. Das waren wir und wieder war die Dumme schnell gefunden – sie ahnen es schon: ich.

Großes Auditorium, in der ersten Reihe die Geschäftsführer der Werbeagenturen. Eine Gruppe nach dem anderen kam auf die Bühne, um ihre Ideen zu präsentieren. Nach der dritten Präsentation war ich schwer verunsichert. Alle Präsentatoren, hatten diese weißen Moderationskarten in der Hand – ich hatte nichts außer unserer Idee und die hatte ich im Kopf. Schließlich war ich den ganzen Tag dabei gewesen und wusste genau, was wir uns dabei gedacht hatten. Aber wenn alle solche Karten haben, müsste ich nicht auch welche haben? Einfach weil „man“ das so macht. Man schon, ich nicht. Für Karten war es jetzt eh zu spät. Also rauf auf die Bühne und los erzählt. Trotz ausgesprochen kritischer Betrachtung meiner eigenen Leistung, hatte ich den Eindruck, dass der Applaus nach meinem Auftritt doch etwas lauter war als bei den anderen. Aber vielleicht war da nur der Wunsch der Vater des Gedankens. War er nicht. Fünf Geschäftsführer der deutschen Top-Werbeagenturen kamen im Anschluss zu mir und haben mir zu dieser in ihren Augen besten Präsentation gratuliert. Von dreien habe ich die Visitenkarten mit nach Hause genommen – ich solle mich unbedingt nach dem Studium dort bewerben.

Ich weiß noch, wie ich mit den Schuhen in der Hand (für Werbeagenturen schmeißt Frau sich dann schon mal in Schale und dazu gehören immer viel zu unbequeme Schuhe) nach Hause wandelte und dachte „Mensch, vielleicht hast Du ja doch ein Talent“. Das Talent mich auf eine Bühne zu stellen und Menschen für etwas zu begeistern, woran ich glaube – ganz ohne Moderationskarten (die ich bis heute hasse). Ein kleines zwar, aber ein Talent.

Wenn ich es heute so betrachte, ist es eigentlich eine traurige Geschichte, obwohl ich an diesem Abend sehr glücklich war. Traurig daran ist, dass ich 25 Jahre gebraucht habe, um ein Gefühl für mein Talent und meine Stärke zu entwickeln. Bis ich dieses Talent voll ausleben durfte, sind weitere 15 Jahre ins Land gezogen.

Es gibt so viele unterschiedliche Talente bei uns und unseren Kindern. Es sind die offensichtlichen, wie eine Sprachbegabung oder ein sportliches Talent. Es gibt aber so viele Talente, die in der Schule keine Beachtung finden. Viele große Entertainer waren grottenschlecht in der Schule, weil sie mir ihrer Kreativität und ihrem Humor eher angeeckt sind. Heute lachen sie wahrscheinlich darüber – und über die Gehälter der Lehrer gleich mit. Aber als Kind haben sie oftmals gelitten. Ich glaube, wir müssen viel früher beginnen Talente sichtbar zu machen – gerade die Talente jenseits der Schulnorm. Weil wir jedes einzelne Talent brauchen und es uns nicht leisten können, dass heute noch so viele Jugendliche ihr Talent nicht entdecken und orientierungslos durchs Leben wanken.

Moment mal, so unter uns. Selbst wenn ich wirklich völlig talentfrei auf die Welt gekommen wäre. Wäre das eigentlich schlimm? Nein, wäre es nicht. Denn jeder Mensch ist einzigartig auf seine Weise und hat es verdient, dass wir ihm Aufmerksamkeit, Anerkennung und Liebe mit auf den Weg geben – sie, ich, wir alle. Und dann kommen plötzlich Talente zu Tage, von denen wir vorher nicht mal geträumt hätten. Jeder der mal Zeit und Energie in einen Azubi investiert hat, der dann von der Raupe zum Schmetterling wurde, weiß wovon ich rede. Glauben Sie mir, da draußen gibt es noch viele jungen Menschen, die sich entfalten und entpuppen können, wenn wir auf sie vertrauen.

 

Ihre

Felicia Ullrich

P.S. Ganz Frau habe ich mich nach dem Schreiben dieses Artikels gefragt, ob Talent für mein Sein auf der „Bühne“ nicht doch ein wenig hoch gegriffen ist. Aber entscheiden Sie es doch einfach selber – wenn wir uns bei einem meiner vielen Veranstaltung mal begegnen.