Der Pubertist und das Praktikum

Seine klassische Antwort auf die Frage, “Wie war es in der Schule” ist „gut“ oder alternativ ein genervtes Stöhnen und „Mama, bis 16:45 Schule – was fragst Du eigentlich“. Wobei da verstehe ich meinen Sohn. Wir brauchen uns nicht zu wundern, dass dieser Generation die Vereinbarkeit von Freizeit und Beruf so wichtig ist, wenn die Jugendlichen schon in der 10. Klasse zweimal in der Woche bis 16:45 Uhr Schule haben. Ich hatte in meiner Oberstufenzeit einmal eine 7 Stunde und fand das schon super nervig. Für meinen Sohn ist das der Normalfall und nicht die Ausnahme.

Genau dieser Pubertist ist in den Herbstferien einer Art magischen Verwandlung erlegen. Er ist freiwillig und ohne zu murren morgens eine halbe Stunde früher aufgestanden und noch viel erstaunlicher, abends früher ins Bett gegangen. Seinen Vater (die Mama war in Kururlaub) hat er gezwungen jeden Tag eins von zwei, extra für diesen Anlass angeschafften, Hemden zu bügeln. Ich war davon ausgegenangen, dass er diese Hemden maximal an den ersten beiden Tagen für ersten Eindruck anziehen würde, um dann auf sein geliebtes Schwarz zu wechseln. Da erschien mir die Investition in zwei Hemden ausreichend. Das sah er anders: Er müsse schließlich ordnungsgemäß gekleidet seinen Dienst antreten. Während sonst die Kommunikation mit den Eltern eher schmal gehalten wird, hatte er plötzlich Plauderwasser getrunken und das nicht zu knapp. Dazu ist sein politisches Allgemeinwissen in diesen zwei Wochen geradezu explodiert.
Wie wir das geschafft haben, fragen Sie sich jetzt?
Wir waren es leider nicht, es waren die anderen. Der Schlüssel zu dieser magischen Verwandlung war ein Praktikum, dass mein Sohn freiwillig in den Herbstferien absolviert hat.
Denn in der Zeit, in der seine Klassenkameraden dies tun, wird er die Schule in Neuseeland besuchen.

Der Weg zum passenden Praktikumsplatz war steinig. Weil, wie das so ist in diesem Alter, waren die eigenen Ideen eher mau und die Vorschläge der Erziehungsberechtigen irgendwie doof. Dann hatten wir endlich einen akzeptierten Vorschlag und es scheiterte an der passenden Möglichkeit. Denn obwohl ich mir wirklich viel Mühe mit der Bewerbung gegeben habe (ja, Sie lesen richtig – auch wir sind nur eine ganz normale Familie, wo die Mama Dinge tut, die pädagogisch vielleicht suboptimal sind), bekam der Sohn auf seine Bewerbungsmails und Rückfragen keine Antwort – auch nach Rückfragen nicht.

Lustiger Weise saß die Personalbeauftragte dieses Arbeitgebers schon zweimal in einem meiner Workshops, immer laut klagend, wie schwer es doch sei Nachwuchs zu finden. Jetzt weiß ich warum das in diesem Fall so schwierig ist. Andere wiederum vergaben keine Praktikumsplätze in den Ferien. So lief es schlussendlich doch auf das mütterliche Vitamin B heraus.

Das hat mich sehr geärgert. Nicht, dass ich es habe, dieses Vitamin B. Natürlich ist es oft von Vorteil es zu haben und auch wir bekommen viele Praktikanten über diesen Kanal. Es hat mich geärgert, dass es nur auf diesem Weg funktioniert hat. Wie viele Kinder da draußen haben denn Eltern, die kein Vitamin B im beruflichen Kontext haben? Die aber auch ein Praktikum machen wollen oder sollten, dass ihren Interessen entspricht. Nichts begeistert mehr, als etwas erleben zu können. Keiner würde sein Auto auf Basis eines Flyers oder einer Homepage kaufen, ohne es vorher mal Probe gefahren zu haben. Aber bei einer so wichtigen Entscheidung wie der beruflichen Zukunft, machen wir es den Jugendlichen so schwer positive Erlebnisse zu sammeln.

Mein Sohn hat sein Praktikum in einem Ministerium absolviert – und es war toll. Er hat unglaublich spannende Einblicke erhalten, es wurde ihm viel erzählt, alle waren sehr nett und hilfsbereit, haben ihm zugehört und er füllte sich sehr ernst genommen.

Nach zwei Wochen war er traurig, dass das Praktikum vorbei war. Und wir erinnern uns – er hat dafür auf seine Herbstferien und viel chillen verzichtet. Zum Tschüss sagen musste wieder der Papa ran, um erneut einen Kuchen zu backen, weil der erste nicht für alle gereicht hatte. Und auf jeden Fall brauchte er ein Stück Kuchen für die Dame am Empfang, die ihn jeden Tag so freundlich begrüßt hat und ihm immer geholfen hat den richtigen Weg zu finden. Er hatte verstanden, dass Menschen an vermeintlich unwichtigen Positionen, doch ganz wichtig und ernst zu nehmen sind. Und das es einfach schön ist, wenn jemand nett zu einem ist.

Schon vorher hatte er mit dem Gedanken geliebäugelt nach dem Abitur Jura zu studieren – das Praktikum hat ihn darin bestärkt, dass das ein Aufgabenfeld ist, was ihm viel Spaß machen und seinen Talenten entsprechen würde. Unser Sohn hat ein ausgesprochen starkes Rechtsgefühl und setzt sich für die in der Klasse ein, die gemoppt werden oder über die schlecht geredet wird. Natürlich war ich sehr stolz auf meinen Sohn (bin ich eigentlich immer auch wenn sie es einem in dem Alter ja nicht immer leicht machen). Es hat mir gezeigt, dass wir auch die gechilltesten Jugendlichen (und das kann er wirklich sehr gut) vom Sofa bekommen, wenn wir ihnen ein attraktives Angebot machen.

Das wir nicht jeden Praktikanten als engagiert oder motiviert erleben, ist so. Es hat vielleicht aber auch etwas damit zu tun, dass viele Jugendliche eben kein Praktikum in einem Bereich machen, der sie wirklich interessiert. Sondern dass das erste beste Praktikum genommen wird, was sich bietet oder eins, wo sie leicht leicht ran kommen. Und wenn die Jugendlichen dann nicht mal spannende Aufgaben bekommen, sondern nur daneben sitzen, dass ist das Projekt Praktikum sicher nicht von Erfolg gekrönt.

Wie so oft hat mich diese Erfahrung inspiriert, dem Thema doch ein wenig mehr auf den Grund zu gehen. Daher wird das Thema „Praktium“ Teil der Studie „Azubi-Recruiting Trends 2020“. Denn wie immer finde ich, ich sollte nicht nur eine Meinung haben, sondern auch die Fakten dazu. Seien Sie gespannt.